KENIANISCHE GASTFREUNDSCHAFT…
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Liebe Freunde
Die schweizerische Kultur unterscheidet sich in vielen Aspekten von der kenianischen. Ganz besonders aber in ihrem Verständnis von Gastfreundschaft. Dies durfte ich diese Woche einmal mehr feststellen, und zwar in Nordostkenia. Da die meisten GOA-Leiter diese Woche auf einer Projektreise in Westkenia und deshalb nicht verfügbar sind, wurde mir aufgetragen, einen Kurs an der GGU (GOA Global University), unserer Schule im Tharaka-Stamm zu unterrichten. Mit den Unterrichtsmaterialien im Gepäck machte ich mich am frühen Montagmorgen auf die etwa 5-stündige Reise. Je näher ich dem Ziel kam, desto weniger Grün war in der Landschaft zu erkennen, die Strassen wurden staubiger und die Sonne heisser. Als ich gegen Mittag im kleinen Dorf Marimanti ankam, wo sich unsere Schule befindet, machte ich mich zuerst auf die Suche nach einem kleinen Gästehaus und lud meine Sachen ab. Noch wusste ich nicht, dass ich hier nicht lange bleiben würde...
Kaum in der Schule angekommen, wurde ich von meinen Schülern herzlichst begrüsst, von welchen die meisten etwa doppelt so alt sind wie ich. Sie freuten sich riesig über das Wiedersehen, da ich die GGU schon über ein halbes Jahr nicht mehr besucht hatte. Doch noch bevor der Kurs begann, kam Lawrence, einer der Schüler auf mich zu. Er ist der Leiter der Gemeinde, deren Räumlichkeiten wir für die GGU benutzen dürfen. Wo denn meine Reisetasche sei, meinte er. Je detaillierter ich ihm den Weg zum Gästehaus beschrieb, desto mehr schüttelte Lawrence den Kopf. „Ich dachte, du wohnst bei uns zuhause. War das nicht abgemacht?“ Ich wusste von nichts, lächelte aber freundlich und dankte für das Angebot. „Nun, für heute habe ich ja schon eine Bleibe, vielleicht morgen?“ Der Versuch scheiterte kläglich. Besonders als Lawrence dann ans Telefon ging und mit seiner Frau telefonierte. „Sie hat zuhause schon alles vorbereitet für dich, ich werde deine Tasche später im Gästehaus abholen lassen.“ Und das Thema war beendet.
Nun, so hatte ich mir meinen Aufenthalt hier in Marimanti eigentlich nicht vorgestellt, dachte ich doch dass ich dann an den einsamen Abenden im Gästehaus jeweils Zeit hatte meine Lektionen für den Kurs vorzubereiten und vielleicht wieder einmal Mails zu beantworten. Aber hier in Kenia kommt es ja meist anders als man denkt... daran habe ich mich schon gewöhnt.
Als sich der Tag dem Ende zuneigte und die Lektionen beendet waren, machten wir uns dann auf den Weg in mein neues Zuhause. Da es schon Abend war, bestellte Lawrence einen Motorradfahrer, welcher uns die fünf Kilometer bis zu seinem Haus fuhr. Dort wartete die ganze Familie vor der Lehmhütte. Sofort wurde ein Stuhl gebracht und vor das Haus in die letzten Sonnenstrahlen gestellt. Dort sollte ich mich erst einmal ausruhen. Die erste Tasse Tee wurde serviert, und als man kurz darauf meinen Stuhl ins Haus trug da es langsam eindunkelte, folgten die zweite und die dritte Tasse. Dazu gab es Brot. Das ist ein eher ungewöhliches Abendessen für Kenianer, da sie abends meist kochen. Ich machte mir jedoch keine Gedanken und sättigte mich mit Tee und Brot. Nur um kurz darauf festzustellen, dass dies wohl der Zvieri war... denn Lawrences Frau sowie die Nachbarin verschwanden nun in die Strohküche vor dem Haus und Geschirr begann zu klappern.
Meine Gastfamilie or ihrem Haus
Blick aus der Türe
Der Hof des Hauses
Blick in die Nachbarschaft
Neema auf dem Weg zur Schule - da es sehr weit ist und sie deshalb mit dem Motorrad abgeholt wird, trägt sie trotz Hitze Winterkleidung =)
Lawrence brachte mir Hausflipflops zum Anziehen und ein kleines Fotoalbum zum Anschauen, damit ich mich nicht langweilte. Durch die offene Tür sah ich Fadhili, den Sohn von Lawrence, welcher ein Huhn Richtung Küche trug. Das Menu war also klar. Seine Schwester Neema hatte unterdessen meine Haut und meine Haare genug lang betrachtet und berührt und begann nun ununterbrochen zu plaudern und zu scherzen. Kurz darauf trat Lawrences Frau in den Raum und überreichte mir Badetuch und Seife. Das Wasser sei schon bereitgestellt, meinte sie, und zeigte mir den Weg hinters Haus zum Duschraum. Das liess ich mir nicht zweimal sagen, hatte ich mich doch schon den ganzen Tag auf erfrischendes Wasser gefreut. Die Sonne hier war einfach zu heiss. Ich schloss die Wellblechtüre hinter mir und stürzte mich auf das Wasser, welches in einem Becken auf dem Boden stand. Nur um die Hand ganz schnell wieder aus dem Wasser zu ziehen. Von wegen Erfrischung, das Wasser war kochend heiss. Aus lauter Gastfreundschaft wurde das Wasser schön auf dem Feuer vortemperiert. Nach dem Duschen war mir heisser als zuvor, doch ich wusste nun, dass ich hier als Gast wirklich geschätzt wurde =).
Kaum aus der Dusche wurde mir das Kleid, welches ich am Tag getragen hatte, aus der Hand genommen. Ich würde es am nächsten Tag wieder zurückbekommen, wurde mir erklärt – frisch gewaschen versteht sich. Nun, was konnte ich anderes tun als mich einmal mehr herzlichst für die Gastfreundschaft zu bedanken? Zurück im Haus erhielt ich eine Art Einführung: Mir wurde gezeigt wo es Klopapier gibt, welche Zahnpaste ich gebrauchen kann und wo ich meine Tasche lagern kann. Obwohl ich kaum mehr Hunger hatte, ass ich brav das zubereitete Huhn mit Reis und Gemüse, da mir bewusst war, dass das Schlachten eines Huhns die grösste Ehre ist, die einem Besucher in dieser Gegend widerfahren kann. Nach zwei weiteren Tees und vielen Überredungsversuchen, dass ich keine dritte Tasse mehr möchte, vertieften wir uns in interessante Gespräch, über welchen ich fast die Vorbereitungen für den nächsten Kurstag vergass. Im Schein einer kleinen Petrollampe versuchte ich mir Notizen zu machen, während Lawrence neben mir den gelernten Stoff des Tages repetierte.
Plötzlich berührte mich eine kleine Hand am Arm. Es war Töchterchen Neema. Als ich sie fragte, warum sie denn noch nicht schlafe, nahm sie mich bei der Hand und zog mich mit in den Nebenraum. „Ich muss dir zuerst etwas zeigen.“ Sie führte mich zu einem wunderschön geflochtenen Strohkorb und liess mich wissen, dass dieser ein Geschenk der Familie an mich sei. Dabei strahlten ihre Augen. Als ich Neema ins Bett gebracht hatte und zurück in die Stube kam, fand ich Lawrence mit Faden und Nadel beschäftigt. Als ich ihn fragte, was er denn vor hätte, zeigte er auf meine Sandalen und meinte: „Ich habe gesehen, dass einer der Riemen bald abreissen könnte. Mal sehen ob ich das irgendwie verstärken kann.“ Nun war ich wirklich sprachlos.
Zur Krönung des Abends kam dann noch die Grossmutter vorbei, die sich, nur um den Besuch zu grüssen, des Nachts zu Fuss auf den Weg hierher gemacht hatte. Obwohl sie weder Englisch noch Swahili sprach, unterhielten wir uns mit Handzeichen und Übersetzern bestens und sie musste herzhaft lachen, als Lawrence das junge weisse Mädchen neben ihm als seine Lehrerin vorstellte. Mit sehr vollem Magen und tief beeindruckt von all den Diensten und Aufmerksamkeiten der Familie legte ich mich an jenem Abend zu Neema ins Bett und überlegte mir beim Einschlafen, welche Gastfreundschaftsüberraschungen ich wohl in den folgenden drei Tagen noch erleben würde....