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DER ABENTEUERLICHE TAGESABLAUF EINES WAISENKINDES

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Liebe Freunde, hier ein Bericht unseres Volontärs Lukas Wagner, der den Tagesablauf eines unserer Waisenkinders sehr lebhaft und bildlich beschreibt: „Hallo, ich heisse Moses Mwangi und bin der jüngste Spross der Kieni-West-Familie. Ich bin in der Stadt Nyeri aufgewachsen und lebe erst seit ein paar Monaten hier im Waisenhaus. Die anderen Kinder rufen mich aber nie bei meinem eigentlichen Namen, sondern nennen mich Wetangura. Ich möchte euch erzählen, wie mein Schulalltag aussieht. Schon früh morgens um kurz nach fünf werden wir durch Dad John oder den Farmer Mwangi geweckt. Ich brauche wie die anderen in meinem Alter ein bisschen, bis die Müdigkeit verflogen ist. Moffat, der wie ein grosser Bruder für mich ist und sich oft um mich kümmert, steht auch nicht sofort auf, darum bleibe ich noch ein bisschen liegen. Er hilft mir dann aber, die Schuluniform in meiner Kleiderkiste zu finden. Zusammen polieren wir auch die Schuhe, bis sie wieder schön schwarz glänzen. Jetzt muss ich nur noch kurz mein Gesicht waschen. Mist, die anderen singen alle schon das Essenslied vor dem Küchengebäude. Ich muss vorwärts machen, damit ich auch noch meinen Chai und mein Mandasi [würziger Schwarztee und eine Art Kokosnuss-Doughnut] bekomme. Wo habe ich aber meinen Stift und welche Schulbücher brauche ich heute nochmal? Ich möchte nicht wieder von der Lehrerin nach Hause geschickt werden, weil ich meinen Stift vergessen habe. Endlich habe ich meinen Rucksack gepackt und zum Glück hat Rose, die Köchin, ein besonders grosses Mandasi für mich zurückbehalten. Nachdem ich mein Frühstück hinuntergeschlungen habe, müssen wir nochmals mit unseren Tupperwares in einer langen Schlange anstehen, um das Mittagessen abzupacken. Weil es am Morgen noch kalt ist, hat mich Mum Eunice nochmals in den Schlafsaal geschickt, um meine Jacke zu holen. Da ich mit meinen kurzen Beinen länger als die Grossen brauche, um in die Schule zu kommen, muss ich als erster loslaufen. Auf dem Schulweg gibt es immer so viel zu sehen. Ich unternehme die Abenteuer aber lieber auf dem Heimweg, damit die Lehrerin nicht böse wird und mich bestraft, wenn ich um sieben Uhr nicht im Klassenzimmer bin. Ich bin seit dem Frühjahr in der ersten Klasse und lerne gerne. Die Lehrerin erzählt auch sehr viel, und manchmal müssen wir nachreden, was sie gesagt hat, damit wir es uns besser merken können. Bis zum Mittag vergeht die Zeit schnell und dann essen wir unseren mitgebrachten Lunch. Es gibt immer das Essen vom Vorabend, kalt schmeckt das Ugali oder Gideri [Getreidebrei bzw. Bohnen-Mais-Gericht] nur halb so gut. Nach dem Mittag werde ich manchmal etwas müde, da muss ich aufpassen, dass ich nicht einschlafe. Doch zum Glück ist der Unterricht zwischen drei und vier Uhr fertig, und dann kommt die schönste Zeit des Tages. Mit meinen Kollegen sammle ich auf dem Nachhauseweg Beeren, erschrecke die Ziegen und Schafe am Strassenrand und wenn die Strasse matschig ist, spielen wir im Schlamm. Wenn ich etwas Kleingeld habe, kann ich mir in den kleinen Läden am Strassenrand Süssigkeiten kaufen. Am liebsten mag ich Brausepulver, das prickelt so auf der Zunge und am Schluss ist sie ganz farbig. Im Wäldchen kurz vor Zuhause sehen wir manchmal Hasen, aber die sind so schnell, dass wir sie nicht fangen können. Wenn ich dann zu Hause angekommen bin, gibt es als erstes Porridge. Dann müsste ich eigentlich meine Hausaufgaben machen, aber ich spiele lieber mit den anderen noch ein bisschen. Einmal in der Woche muss ich mithelfen, den Schlafsaal zu fegen oder nass aufzunehmen. Vor dem Abendessen um acht treffen wir uns dann alle in einem Schlafsaal zum Fellowship. Wir singen viele Lieder, beten und einer von den Grossen liest aus der Bibel vor. Manchmal nehmen wir uns auch Zeit, um neue Lieder zu lernen oder machen einen Gebetsspaziergang. Dann gibt es endlich Znacht, darauf freue ich mich jedes Mal. Schliesslich muss ich meine Hausaufgaben noch fertig machen und in einem grossen Bottich baden. Dann bin ich meistens sehr müde und schon bald fallen mir die Augen zu. Die Grossen reden auch noch gerne im Dunkeln nach neun Uhr, wenn das Licht ausgegangen ist, aber das bekomme ich oft gar nicht mehr mit. Ich träume dann schon vom nächsten Tag und meinen Abenteuern auf dem Nachhauseweg.“